Am Leben wachsen.
Die vorläufige Bilanz der 12- jährigen Juliette Passehl: zahlreiche Krankenhausaufenthalte, ein Jahr zu Hause eingeschränkt im Bett oder im Rollstuhl, 43 Narben an den Einstichstellen, fortschreitende Skoliose und unzählige OP’s und Besuche bei verschiedenen Ärzten. Aber: Eine große Menge an positiver Energie und Zuversicht.
Juliette ist seit ihrem ersten Lebensjahr körperlich eingeschränkt. Die Diagnose lautet Morbus Ollier, eine seltene, nicht-erbliche Krankheit. Es befindet sich Tumormasse in der Wachstumsfuge des Röhrenknochens und verhindert das Wachsen ihres rechten Beines. Mit Beginn der ersten Gehversuche wurde die Krankheit sichtbar. Mutter Sarah ging der Sache sofort auf den Grund und konsultierte den Arzt. Die erste Einschätzung war: „Das verwächst sich“. Das konnte die Mutter nicht glauben und begann eine – wie sich im Verlauf der folgenden Monate und Jahre herausstellte – Odyssee mit zahlreichen Besuchen bei Orthopäden und in Kliniken.
Bis die Diagnose feststand, vergingen viele Monate und Juliette musste schon früh mit dem Rollstuhl vertraut werden. Für die Mutter war die erste Priorität, dass Juliette mobil bleibt, erzählt Petra Reinke, die die Familie von Anfang an begleitet hat. Sie ist Mitarbeiterin des Sanitätshauses Incort und hat mit der Beratung und Bereitstellung von sämtlichen Hilfsmitteln Juliette und ihrer Familie das Leben so gut es ging erleichtert. „Juliette hat die ersten drei Jahre nur im Buggy geschlafen“, erinnert sich Mutter Sarah in Hinblick auf den körperlichen Zustand ihrer Tochter. Sie kommt aus der Krankenpflege und bringt entsprechend einiges an medizinischem Verständnis mit. Das ist vielleicht auch der Grund, weshalb sie nicht lockerließ herauszufinden, warum das Bein ihrer Tochter nicht wächst und wie man den Zustand ändern kann. Die Diagnose hielt die Ärzte davon ab zu operieren. „Zu gefährlich und die Angst vor anschließenden Klagen bei fehlgeschlagener OP“, lautete die Begründung.
Der Versuch, Sarah Passehl davon zu überzeugen, dass die Wachstumsfuge des anderen Beines lahmgelegt werden könne, um das ungleiche Wachsen zu stoppen, schlug fehl und machte sie fassungslos. In Berlin ergatterte sie einen Termin bei einem Tumorspezialisten, der ihr Handeln verstehen konnte. „Vertrauen Sie Ihrem Gefühl“, machte er ihr Mut und bestärkte ihren Glauben, dass eine OP wenn nicht eine Heilung, so jedoch eine deutliche Verbesserung bringen könnte.
Inzwischen waren Metastasen im ganzen Körper festgestellt worden, die glücklicherweise bis heute nicht entarten. Neben Petra Reinke, die die Familie in dem ganzen Prozess mental und mit praktischen Hilfsmitteln begleitet, fand sich auch eine Sozialarbeiterin in der Grundschule, die sich mit dem Zustand von Juliette nicht abfinden wollte. Sie war es, die der Familie die Hilfe ihrer Schwester anbot, die in einer Klinik als Ärztin arbeitet. Hier traute sich endlich ein Team von Ärzten zu, Juliette zu operieren und ihre Beine gleich lang hinzubekommen. Dafür wurden der Ober- und der Unterschenkel zersägt und mithilfe von „Werkzeugen“ auseinandergezogen. Ein von außen angebrachter Fixateur schaffte Stabilität und sorgte dafür, dass die Knochen zusammenwachsen konnten. Aber durch ihn musste Juliette auch ein ganzes Jahr lang zu Hause verbringen, und es dauerte ein weiteres Jahr, bis Juliette den Fixateur los wurde und mit Krücke und Orthese und später nur noch mit der Orthese das Laufen lernte – so gut es eben ging.
Der Rollstuhl gehört bis heute zu Juliettes Begleiter. Das Laufen geht sogar ein paar Meter ohne Krücken. „Die Schwierigkeit ist, laufen zu lernen und dabei gerade zu bleiben“, erzählt Juliette. Die Folge ist eine zunehmende Skoliose, für deren Behandlung ebenfalls viel Zeit und Kraft aufgewendet werden muss. Den Weg zur Schule legt Juliette mit ihrer Mutter im Rollstuhl zurück; vor dem Schuleingang gibt es eine Rampe – extra für sie angebracht. Mama Sarah hat in der Grundschulzeit viel dafür gekämpft – unter anderem mit dem Senat - dass Juliette eine normale Schule und nicht eine für körperlich beinträchtigte Kinder besuchen kann. Der Alltag in der Schule hat sich eingespielt. Juliette erzählt, dass soziale Kontakte schwierig sind. Besonders die lange Zeit im Krankenhaus war langweilig und ließ sie eine unbeschwerte Kindheit vermissen.
Auf die Frage, was ihr Wunsch, ihr nächstes Ziel sein, sagt Juliette: „Ich möchte Schwimmen lernen. Und ich möchte Fahrradfahren ohne Stützräder können.“ Wünsche, die für die allermeisten Kinder selbstverständlich sind. Petra Reinke bleibt weiterhin an ihrer Seite und versucht, jeden Wunsch zu ermöglichen, der ihr dabei hilft, mobil zu bleiben. „Bislang hat sie immer eine Lösung gefunden“, ist Sarah glücklich über die jahrelange Begleitung durch die Firma Incort. Jede körperliche Veränderung, jeder Fortschritt bedarf einer Anpassung der Hilfsmittel, die Petra Reinke übernimmt. Auch als Vermittlerin zwischen Krankenkassen, behandelnden Therapeuten und Ärzten war sie all die Jahre erfolgreich und hat alles Notwendige möglich gemacht.
Juliette weiß, dass ihr die gleiche Prozedur einer dritten OP bald wieder bevorsteht. Sie ist zurzeit im Wachstum und das gesunde Bein hat das kranke bereits um 2 cm überholt. In zwei Jahren wird sie noch einmal unter das Messer kommen – dann hoffentlich das letzte Mal, da das Wachstum wahrscheinlich aufhört und der Beinunterschied mit Schuherhöhungen ausgeglichen werden kann. Mit welchen Gefühlen denkt Juliette daran? „Ich habe jetzt keine Angst mehr“, sagt sie mit einer Reife, die fast unheimlich für ein 12-jähriges Mädchen ist. Juliette hat sehr erwachsene Züge – in ihrem Auftreten, beim Erzählen, in ihrer Haltung zu ihrer Krankheit. Das bestätigt Mama Sarah, die erzählt, dass ihre Tochter kämpfe wie eine Große und es ablehnt, Beruhigungspillen vor der OP einzunehmen: „Sie geht da mit vollem Bewusstsein rein“, erzählt sie.
Die kämpferische Natur hat die Tochter offensichtlich von der Mutter. Von Anfang an musste Sarah Passehl vollständig überzeugt sein von Behandlungsvorschlägen der Ärzte und hinterfragte alles. Wenn ihr niemand eine zufriedenstellende Antwort geben konnte, suchte sie nach anderen Lösungen. Sie ist froh darüber, dass sie viel erreicht haben, um das Leben von Juliette lebenswert zu machen. Gemeinsam haben sie viel erreicht, woran viele nicht geglaubt haben. Deshalb blicken auch beide mit einer gewissen Zuversicht in die Zukunft und behalten ihren Optimismus. Mama Sarah sagt mit Stolz über ihr Kind: „Meine Tochter leuchtet im Dunkeln.“
Bildquellen: (c) Familie Passehl
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